St.Galler Stadtparlamentswahlen: Meinungen von Kandidatinnen und Kandidaten aus der Queer-Szene

Am Wochenende vom 24/25. September finden im Kanton St.Gallen Gemeindewahlen statt – auch jene fürs St.Galler Stadtparlament. Queer-Lake hat bisherige Parlamentsmitglieder und jene Kandidierenden befragt, die öffentlich als Lesben oder Schwule auftreten. Die Themen sind so gewählt, dass sie im Einflussbereich des Stadtparlaments liegen.

Folgende Kandidatinnen und Kandidaten haben bei der Umfrage mitgemacht:
– Gallus Hufenus (*1979, Sozialdemokraten, bisher, oben links)
– Stefan Fritschi (*1994, Freisinnige, oben rechts) **
– Odilo Lamprecht (*1987, Freisinnige, unten links) **
– Fabio Lapadula (*1993, Jungsozialisten, oben mitte)
– Mirjam Müller (*1988, Junge Grüne, unten mitte)
– Philipp Schönbächler (*1977, Grünliberale, unten rechts)

** Am 21. März 2017 wurden wir gebeten, die Illustrationen der FDP-Kandidaten zu entfernen. Es handelt sich um einen Wunsch des Illustrators und nicht der Kandidaten.

Wie beurteilst du die Stimmung in der Stadt St.Gallen gegenüber Lesben und Schwulen generell?

Gallus Hufenus
: Als liberal. Ich spüre keinen Widerstand. Ich kommuniziere meine sexuelle Orientierung offen und kann so sein, wie ich bin. Ich halte mich mit meinem Auftreten aber auch eher zurück. Eine gewisse Hemmung liegt in mir selber.

Stefan Fritschi
: Generell offen. Wir können hier ohne Angst leben. Homosexualität ist jedoch noch lange nicht so akzeptiert, wie ich mir das vorstelle.

Odilo Lamprecht
: Allgemein ist die Stimmung sehr gut und angenehm. Klar ist St.Gallen nicht gleich offen wie Zürich, aber es lässt sich als schwuler Mann hier gut leben und lieben!

Fabio Lapalua
: Als erstes möchte ich sagen, dass es noch mehr gibt als die lesbischen und schwulen Mitmenschen. Wie in vielen Städten ist auch in St.Gallen eine gewisse Akzeptanz vorhanden. Leider gibt es aber auch immer wieder vereinzelte Übergriffe.

Mirjam Müller
: Neutral. Ich wurde nie Zeuge von irgendeiner Art von Diskriminierung. Allerdings sind Frauenpaare auch bei uns – aus mir unverständlichen Gründen – mit wesentlich weniger Ablehnung konfrontiert, als Männerpaare.

Philipp Schönbächler
: Zurückhaltend, konservativ und tolerant. Aber als «normal» wird ein LGBT-Paar definitiv nicht angesehen.

Gibt es in der Stadt St.Gallen genügend Möglichkeiten und Treffpunkte, gleichgesinnte Menschen zu treffen?

Gallus Hufenus
: Für Erwachsene ja. Ich finde aber eine Ghettosierung nicht gut. 100 Prozent Toleranz ist erst erreicht, wenn keine expliziten Treffpunkte für LGBTIQ-Menschen mehr nötig sind. Niederschwellige Freiräume zu ermöglichen, ist trotzdem sinnvoll. Bespielt werden müssen sie aber von den Betroffenen selber.

Stefan Fritschi: Leider ist auch hier das Bar-Sterben allgegenwärtig. Doch es gibt immer noch gut besuchte Treffpunkte wie zum Beispiel die «Sack & Pack»-Parties im «News» jeden ersten Sonntag im Monat.

Odilo Lamprecht: Nein, gibt es nicht! Ich schätze die Bemühungen, immer wieder Veranstaltungen zu organisieren. Es würde aber noch gut den einen oder anderen Treffpunkt vertragen.

Fabio Lapalua
: Das Angebot ist etwas mager, vor allem auch das Angebot für Lesben.

Mirjam Müller: Ich sehe nicht ein, warum es überhaupt separate Treffpunkte für Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen braucht. Schliesslich wähle ich meine Freunde nicht aufgrund ihrer Bettgefährten, sondern aufgrund ihrer Charaktereigenschaften aus. Separate Treffpunkte fördern eine Segregation, die es doch gerade zu überwinden gilt.

Philipp Schönbächler: Nein, es gibt nicht genug Treffpunkte.

Zu welcher St.Galler Beratungsstelle schickst du die Jugendlichen, die dir schildern, dass sie zu Hause wegen ihrer Homosexualität gemobbt werden?

Gallus Hufenus: Mir ist keine bekannt. Vielleicht zum «Tipp»?

Stefan Fritschi
: Ich empfehle jeweils «Du bist Du».

Odilo Lamprecht: Eine solche Situation ist mir noch nie begegnet. Spontan würde ich jemanden an die Dachorganisation «Pink Cross» verweisen.

Fabio Lapalua: Internet-Foren sind immer wieder hilfreich. Dort gibt es Möglichkeiten, anonym mit Menschen über Probleme zu reden, die in der gleichen Situation sind. «Pink Cross» hilft im Kampf gegen Diskriminierungen und auch die St.Galler Fachstelle für Aids- und Sexualfragen (AHSGA) ist zu empfehlen.

Mirjam Müller: Da kenne ich mich nicht aus. Ich wurde zum Glück wegen meiner Partnerwahl nie gemobbt.

Philipp Schönbächler: Solange keine Gewalt angewendet wird zum «forumMann». Sonst zum Kinderschutzzentrum.

Befürwortest du obligatorische Unterrichtsstunden in den städtischen Schulen, die Antidiskriminierung ins Zentrum stellen und in denen Lesben und Schwule selber zu Wort kommen?

Gallus Hufenus: Das finde ich sinnvoll. Sexualkunde ist wichtig. Obwohl Alle alles wissen, wissen die Jugendlichen wenig, vor allem auf der Gefühlsebene. Selbst wurde ich in der Schule nicht aufgeklärt.

Stefan Fritschi: Ja, sehr sogar. Ein guter Freund von mir ist hier sehr engagiert und ich finde es wichtig, dass Schüler direkt mit diesem Thema konfrontiert werden.

Odilo Lamprecht: Das befürworte ich sehr. Ob es zwingend notwendig ist, dass jeweils eine schwule oder lesbische Person dabei sein muss, stelle ich in Frage. Viel wichtiger finde ich es, Toleranz zu vermitteln und Jugendliche auf eine multikulturelle Welt vorzubereiten.

Fabio Lapalua: Auf jeden Fall. Schulbesuche durch Leute, die selber lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell sind, sollten schon früh stattfinden. Vieles ist Sache der Erziehung. Kein Mensch wird rassistisch oder homophob geboren.

Mirjam Müller: Ja, definitiv – ich halte Toleranz für eine Kernkompetenz, die in unseren Schulen zur Grundausbildung gehören sollte. Das betrifft allerdings nicht nur Toleranz gegenüber sexuellen Identitäten oder Beziehungsformen, die von der Norm abweichen, sondern generell gegenüber nichtnormativen Identitäten und Lebensformen.

Philipp Schönbächler: Ja.

Kennst du Institutionen, Vereine etc, die sich in LGBTIQ-Fragen engagieren und die durch die Stadt St.Gallen finanziell unterstützt werden sollten?

Gallus Hufenus: Sind mir keine bekannt.

Stefan Fritschi: Eine finanzielle Unterstützung ist nicht nötig. Die Stadt finanziert bereits Anlaufstellen für Jugendliche. Das halte ich für sinnvoll und angebracht.

Odilo Lamprecht: Ich kenne einige dieser Institutionen und bin bei einer selbst Mitglied. Ich bin aber allgemein gegen die staatliche Finanzierung von privaten Organisationen.

Fabio Lapalua: Konkrete Institutionen kann ich nicht nennen. Grundsätzlich bin ich aber dafür, dass auch für diesen Bereich Gelder zur Verfügung gestellt werden.

Mirjam Müller: Nein.

Philipp Schönbächler: Das «forumMann» und eventuell queer-lake?

Sollte die Stadt St.Gallen besondere Beratungsstellen für Flüchtlinge einrichten, die ihr Land verlasen müssen, weil sie als LGBT-Menschen dort verfolgt werden?

Gallus Hufenus: Die Schaffung eines solchen Ortes muss überlegt werden.

Stefan Fritschi: Dass Homosexualität endlich als Fluchtgrund gilt, empfinde ich als grossen Verdienst. Ich bin jedoch nicht der Meinung, dass es Aufgabe der Stadt ist, solche Beratungsstellen zur Verfügung zu stellen.

Odilo Lamprecht: Sofern es eine Beratungsstelle benötigt, sollte diese für alle Anliegen zuständig sein. Ich kenne mich der aktuellen Situation aber zu wenig gut aus.

Fabio Lapalua: Ja, weil das Thema LGBTIQ in der Flüchtlingspolitik gerne vergessen wird. Wir haben Verantwortung zu übernehmen, wenn jemand in seinem oder ihrem Heimatland wegen der Sexualität verfolgt wird. Eine Beratungsstelle für genau diese Fälle wäre wichtig.

Mirjam Müller: Auch im Umgang mit Flüchtlingen sollte darauf geachtet werden, dass alle Menschen gleich behandelt werden und die gleichen Chancen erhalten.

Philipp Schönbächler: Nein. Ich denke die Einbettung in bestehende Strukturen mit allfälligem Angebotsausbau (personell und kulturell) ist ausreichend.

Die Regenbogen-Fahne hängt als Symbol in gay-freundlichen Städten auf vielen öffentlichen Gebäuden. Wäre eine solche Fahne auch in St.Gallen ein wichtiges Zeichen?

Gallus Hufenus: Ich bin gegenüber allen Symbolen vorsichtig. Aber eine Gesellschaft muss auch Zeichen setzen und zu ihren Werten stehen – darum Ja.

Stefan Fritschi: Ich sehe keinen Grund und würde es als falsches Zeichen sehen, denn dann müsste auch eine Heteroflagge gehisst werden.

Odilo Lamprecht: Viel wichtiger als eine Fahne ist die Haltung. Ich fühle mich sehr wohl in St.Gallen und das ist mir wichtiger als eine Fahne.

Fabio Lapalua: Ja, denn eine Fahne würde zeigen, dass auch St.Gallen für Vielfalt und Toleranz einsteht. Das wäre zwar nur ein Symbol – aber eines für eine positive und liberale Haltung.

Mirjam Müller: Anstatt mit irgendwelchen Symbolen zu operieren, deren Bedeutung viele Leute gar nicht kennen, wäre es sinnvoller, Diversität offen zu leben.

Philipp Schönbächler: Ja, aber hier bleibt das wohl noch lange ein Wunschtraum. Die Stadt ist noch nicht so weit.

queer-lake.net vernetzt seit ein paar Wochen die LGBTIQ-Szene rund um den Bodensee. Findest du diese Vernetzung nötig?

Gallus Hufenus: Sinnvoll, willkommen – aber nicht nötig.

Stefan Fritschi: Diese Vernetzung begrüsse ich sehr, da es wichtig ist, offen über dieses Thema zu sprechen, um Vorurteile und Ängste zu bekämpfen.

Odilo Lamprecht: Ja, auf jeden Fall! Diese Vernetzung ist wichtig und richtig. Insbesondere für Frauen und Männer die noch nicht geoutet sind. Sie brauchen eine starke Community. Ich hoffe, dass sich das Netzwerk immer weiter entwickeln wird.

Fabio Lapalua: Ja. Queer-Lake ist ja noch neu. Über die Notwendigkeit lässt sich immer streiten. Aber die Plattform ist hilfreich und für viele Leute eine Möglichkeit, mit anderen in Kontakt zu kommen.

Mirjam Müller: Mir drängt sich eher die Frage auf, ob eine «Szene» überhaupt nötig sei. Ist es sinnvoll, Räume zu schaffen, innerhalb derer sich nur Menschen mit einer spezifischen erotischen Orientierung treffen? Wird dadurch nicht gerade die soziale Isolation begünstigt, die es doch eigentlich aufzubrechen gilt?

Philipp Schönbächler: Ja, denn in der Region mangelt es an bekannten, permanenten Lokalen und Anlässen. Die Plattform erreicht auch Jugendliche und kann helfen, diese aufzufangen, bevor sie sich auf den Dating-Plattformen von den «Anmachern» belästigt fühlen oder gar Angst bekommen, an eine Party oder in eine Bar zu gehen.


Interview und Redaktion: René Hornung